Zum Ruhme des Sports
Dieser Artikel ist auch im PDF-Format - komplett und mit Abbildungen - verfügbar: „...und zum Ruhme des Sports!”
„...und zum Ruhme des Sports!”
Pierre de Coubertin, Erneuerer der Olympischen Spiele (Teil 1)
Achim Feldmann
Ein Beitrag über die Olympischen Spiele in einem ungeraden Jahr!? Olympische Spiele finden doch nur in geraden Jahren statt! 2018 werden die nächsten Winter- und 2020 die nächsten Sommerspiele stattfinden. Wie kommt es also hier zu einem Beitrag über Olympia in einem ungeraden Jahr? Dazu muss man wissen, dass Pierre de Coubertin (1863-1937), der Begründer der modernen Olympischen Spiele, in einem ungeraden Jahr gestorben ist, nämlich am 2. September 1937. Das heißt, sein Tod jährte sich in diesem Jahr zum 80. Mal. Dies ist der Grund für diesen Beitrag.
Wettkämpfe in der Antike
Die Olympischen Spiele haben ihren Namen von einem altgriechischen Heiligtum des Gottes Zeus, dem heiligen Hain
von Olympia. Die Kultstätte liegt im Nordwesten der griechischen Halbinsel Peloponnes. Dort befand sich auch der
Austragungsort der Olympischen Spiele der Antike. Anhand
von Ausgrabungsfunden weiß man, dass die Kultstätte in der
Mitte des 11. Jahrhunderts v. Chr. entstanden ist. Unsere Informationen zu den antiken Spielen stammen aus verschiedensten Quellen. Dazu zählen archäologische Hinweise, antike Kunstwerke wie Vasenbilder und Statuen, Inschriften,
vor allem aber literarische Quellen. Am ausführlichsten hat
sich der Geograph Pausanias (um 115-um 180 n. Chr.) mit
dem Austragungsort und den Spielen befasst. Philostratos
von Lemnos (um 220 n. Chr.) verfasste eine Abhandlung
‘Über die Gymnastik’, in der einige interessante Details über
Sportarten, Trainingsmethoden und Ernährungsvorschriften überliefert wurden1. Weitere Einzelhinweise und Berichte sind über die antike Literatur verstreut.
Der Ursprung der Spiele liegt im Dunkel diverser Sagen.
Fassbar werden sie 776 v. Chr., und dieses Datum gilt als
Jahr eins der ersten Olympiade sowie als Beginn der griechischen Jahreszählung nach Olympiaden2. Die Wettkämpfe
fanden alle vier Jahre im Sommer statt. Die Olympischen
Spiele waren nur ein Ereignis aus einer Reihe von vier
Panhellenischen Spielen – daher der Vier-Jahres-Rhythmus. Die Pythischen Spiele fanden in Delphi, die Nemeischen Spiele in Nemea und die Isthmischen Spiele auf der
Landenge von Korinth statt3. Anders als bei den neuzeitlichen Spielen waren die Sportveranstaltungen – die sich anfangs auf einige wenige Disziplinen beschränkten – und die
musischen Wettbewerbe lediglich ein Teil eines religiösen
Festes. Austragungsort war der Hain von Olympia mit seinen berühmten Heiligtümern für Zeus und Hera, der von
der Stadt Elis verwaltet
wurde. Die normalerweise
im Juli und August veranstalteten Olympischen Spiele dauerten lediglich fünf
oder sechs Tage4. Am ersten
Tag leisteten die Teilnehmer
den Eid, der sie zu Fairness
(und die Herkunftsstädte
zum Einhalten des Friedens) verpflichteten. Danach wurde die Reihenfolge
der Teilnehmer an den Ausscheidungskämpfen ausgelost. Allein der Sieg war das
Ziel der Olympioniken; ein
zweiter oder dritter Platz zählte nicht5. Geehrt wurde der Sieger mit einem gebogenen, vorne offenen Kranz von Olivenzweigen, die von einem Jüngling mit einer goldenen Sichel von einem wilden Ölbaum, der in einem Hain hinter
dem Zeus-Tempel stand, abgeschnitten wurden6. Alle Sieger
wurden gemeinsam am letzten Tag ausgezeichnet. Die
Wettkampf- und Trainingsstätten befanden sich außerhalb
des heiligen Bezirks. Das berühmte Stadion war mit 45.000
Zuschauerplätzen das größte seiner Zeit7. Bei den ersten
Spielen fand nur der Stadionlauf (192 m) statt; erst später
kamen weitere Wettbewerbe hinzu (724 v. Chr. Doppellauf
über 385 m, 720 v. Chr. Langstreckenlauf über 3850 m, 708
v. Chr. Fünfkampf und Ringkampf, 688 v. Chr. Faustkampf,
680 v. Chr. Wagenrennen, 648 v. Chr. Pankration und Pferderennen, 520 v. Chr. Waffenlauf)8. Hippias von Elis, ein Zeitgenosse des Philosophen Sokrates (470-399 v. Chr.), hat die
Siegerlisten rekonstruiert9. Demnach ist Koroibos von Elis im
Jahre 776 v. Chr. der erste Sieger überhaupt gewesen. Leonidas von Rhodos war der bekannteste Olympiasieger im
Laufen, er gewann bei vier aufeinanderfolgenden Spielen
zwischen 164 und 152 v. Chr. sowohl den Stadionlauf als
auch den Doppellauf und den Langstreckenlauf. Milon von
Kroton siegte 532-516 v. Chr. sechs Mal im Ringkampf, außerdem hatte er zuvor schon 540 v. Chr. beim Jugendringen
gewonnen (zusätzlich auch mehrmals bei den anderen drei
panhellenischen Spielen). Von insgesamt 4237 rechnerisch
möglichen Siegern der Olympischen Spiele sind nur 921
namentlich bekannt10.
in Jahr vor Beginn der Spiele entsandten die Verantwortlichen Herolde in die gesamte griechische Welt. Sie sollten
den Zeitpunkt der Eröffnung der Spiele und damit den
Beginn des Götterfriedens bekanntgeben11. Dieser bedeutete
die Unantastbarkeit des Territoriums, auf dem sich das
Heiligtum befand, und die Immunität der reisenden Athleten. Keinesfalls bedeutete der Götterfriede die Unterbrechung kriegerischer Handlungen. Nur frei geborene, unbescholtene Griechen waren zugelassen. Frauen durften nicht
an den Wettkämpfen teilnehmen, ob sie als Zuschauerinnen
zugelassen waren, ist aus den Quellen nicht eindeutig zu
erkennen12. Parallel zu den Olympischen Spielen für die
Männer fanden jedoch die ‘Spiele der Hera’ statt. Dort
wurde ein Lauf nur für Frauen veranstaltet.
Während der Epoche des Hellenismus (336-30 v. Chr.) entwickelten sich die Spiele zu einem panhellenischen Großereignis. Zahlreiche Sportler und Zuschauer reisten aus den
entferntesten Gebieten der damaligen griechischen Welt an.
Nach der Eroberung Griechenlands durch die Römer und
der Einrichtung der zwei Provinzen Macedonia und Achaia
im Jahre 146 v. Chr. durften auch nichtgriechische Athleten
– also die Römer und die übrigen Völker des Römischen
Reiches – an den Wettkämpfen teilnehmen. Unter der römischen Herrschaft begann der Glanz der Spiele zu verblassen.
Korruption, Bestechlichkeit und die Einschleusung von ‘Berufssportlern’ führten zum allmählichen Niedergang. 80 v.
Chr. wurden die Spiele durch des Feldherrn und Staatsmann
Lucius Cornelius Sulla (138-78 v. Chr.) zur Feier seines Sieges über Mithridates von Pontos (reg. 120-63 v. Chr.) nach
Rom verlegt13. In dieser Zeit waren die Olympischen Spiele
zu einem lokalen Sportfest der Peloponnesier herabgesunken. In der frühen Kaiserzeit erlebten die Spiele durch den
römischen Einfluss dann einen neuen Aufschwung. Vor
allem ist die Zahl der Sportarten weiter vermehrt worden.
Interessant ist aber, dass das in der Antike sehr verbreitete
Bogenschießen nicht in die Disziplinen von Olympia aufgenommen worden ist. Insgesamt gesehen verflachte und verrohte der Charakter der Wettkämpfe immer mehr zu Zirkusspielen mit bezahlten Berufskämpfern. Jetzt gesellten sich
sogar Mitglieder aus dem römischen Kaiserhaus zu den
Siegern im Wagenrennen; der berühmteste war Nero (reg.
54-68 n. Chr.), der 67 n. Chr. zum Gewinner erklärt wurde,
obwohl er – wie antike Quellen, die allerdings nicht sehr
wohlmeinend waren, berichten – aus dem Wagen gefallen
war14. Nach seinem Tod wurden diese Spiele jedoch annuliert und sein Name aus den Siegerlisten gestrichen. Kaiser
Hadrianus (reg. 117-138), der den griechischen Osten des
Reiches stärken wollte, bemühte sich um die Wiederbelebung der Spiele, etwa indem er neue Regeln erließ und die
Verteilung von Preisgeldern an die Sieger festlegte. Wenn
auch die römischen Kaiser teilweise die Bauten erweiterten
und zum materiellen Erhalt der Wettspiele beitrugen, so
zwangen sie dem kultischen Zeremoniell doch den Einfluss herrschaftlicher Willkür und der römischen Weltsicht auf,
was auf lange Sicht unausbleiblich zu einer ideellen Aushöhlung der Spiele führen musste. 267 überfielen die Heruler,
ein Volksstamm aus dem südlichen Russland, die Peloponnes, und es wurde zum Schutz des Heiligen Bezirks hastig
eine Mauer erbaut, deren Steine von Bauten am Rande des
Heiligen Bezirks stammten. Das Heiligtum fand danach nicht
mehr zu seiner früheren Größe zurück.
1168 Jahre dauerte insgesamt die Ära der antiken Olympischen Spiele. Wann das Fest zum letzten Mal gefeiert wurde,
ist nicht genau bekannt. Offiziell wurden die Spiele 393 n.
Chr. zum letzten Mal ausgetragen. Ein Jahr später verbot der
oströmische christliche Kaiser Theodosius I. (reg. 379-395)
alle heidnischen Kulthandlungen im gesamten Reich. Dies
betraf die Olympischen Spielen deswegen, weil bei ihnen –
wie gesagt – nicht der Sport, sondern die religiöse Ehrung
des Göttervaters Zeus im Mittelpunkt standen15. 426 n. Chr.
ließ Kaiser Theodosius II. (reg. 408-450) alle heidnischen
Tempel zerstören. Vielleicht sind die Spiele aber noch bis ins
6. Jahrhundert hinein ausgetragen worden, allerdings in viel
bescheidenerem Umfang. Zwischen dem 5. und dem 8. Jahrhundert überzogen Wellen von Invasoren – Westgoten,
Awaren, Vandalen und Slawen – das Land und verheerten
das Gelände. Die Bauten verfielen, die Kunstwerke wurden
zerschlagen, eingeschmolzen oder verschleppt. Ein ärmliches Dorf richtete sich in den Ruinen ein. Später hat ein
Erdbeben im Jahre 551 die restlichen Gebäude endgültig
niedergelegt, schließlich legte der vorbeifließende Fluss Alpheios eine schützende Schwemmschicht über das Heiligtum, die im Laufe der Jahrhunderte auf über fünf Meter
anwuchs16.
Wettkämpfe in der frühen Neuzeit
In der Renaissance kehrte das versunkene Olympia durch
das Studium antiker Quellen in das Bewusstsein der Gebildeten zurück, allerdings wurde es nur noch als Inbegriff des
sportlichen Wettkampfes wahrgenommen, da die genaue
Lage des Ortes nicht mehr bekannt war. 1776 wurden dann
die Tempelanlagen in Olympia durch den englischen Reisenden Richard Chandler (1738-1810) wiederentdeckt und in
seinem Buch ‘Travels in Greece’ beschrieben17. 50 Jahre später legten französische Forscher den Zeus-Tempel frei. Im
Jahre 1875 begannen unter deutscher Leitung durch den Archäologen und Althistoriker Ernst Curtius (1814-1896) systematische Ausgrabungen im Hain von Olympia, und es wurden zahlreiche Kultbauten, das Stadion und sonstige Gebäude freigelegt und wiederhergestellt. Dieses Prestigeprojekt
des Kaiserreichs wurde mit ausführlichen Berichten in den
Zeitungen gewürdigt. 1936-1942 wurden die Ausgrabungen
in Folge der Olympischen Spiele in Berlin wieder aufgenommen18. Das Gelände um Olympia ist mittlerweile in die UNESCO-Liste der Weltkulturerbestätten aufgenommen.
Durch die archäologischen Funde und die Beschäftigung mit
dem antiken Griechenland im Allgemeinen entstand in Europa seit dem späten 18. Jahrhundert eine zunehmende
Griechenlandbegeisterung. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts
trug ideell die Romantik, konkret dann die Unterstützung
des Freiheitskampfes der Griechen gegen das Osmanische
Reich zum stärkeren Enthusiasmus für das Hellenentum
bei. In ganz Europa sahen die gebildeten Schichten das Land
als Symbol für eine gemeinsame europäische Vergangenheit
in mythischer Kulturzeit. „In der Antike meinte man jene
absoluten Normen für Kunst und Kultur zu finden, denen es
nachzueifern gelte. Die Altertumswissenschaften hatten nach den Idealbildern, die Johann Joachim Winckelmann
in seiner ungemein wirkungsvollen Geschichte der Kunst
des Altertums von 1764 publiziert hatte, einen großen Aufschwung erlebt. Seine Formel von ‘edler Einfalt und stiller
Größe’, die das Besondere dieser Referenzkultur ausgemacht hätten, wurde bis ins 20. Jahrhundert hinein nachgebetet. Dazu vermochten die Erfahrungen, die Goethe und
so viele andere Geistesmenschen von ihren Italienreisen
berichteten, das tiefe Erlebnis der Antike zu vermitteln”19.
In Folge dieser Entwicklung kam in Europa auch der Wunsch
nach einer Wiederbelebung des olympischen Gedankens
immer stärker auf.
Bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts war die Idee wieder
in das Bewusstsein der Menschen zurückgekehrt, als 1612 im
Westen der britischen Insel die ‘Cotswold Olimpick Games’
unter der Initiative von Robert Dover (1575/82-1652) auf
den Cotswold-Hügeln stattfanden20. Neben ‘wehrhaften
Sportarten’ wie Laufen, Springen, Speerwerfen, Ringen,
Fechten, aber auch Pferderennen, Jagden und Hetzjagden
mit Hunden, beschränkte Dover den antiken Teil auf einen
Schäfer, der als Homer verkleidet englische Lieder sang. Ein
Großteil der Wettkämpfe war offen für Jedermann, vom
Arbeiter bis zum Adeligen; die Sieger wurden mit gelben
Bändern geschmückt. Die Spiele fanden üblicherweise jährlich statt, wegen des englischen Bürgerkriegs 1642-1649 zwischen den Royalisten um König Charles I. (reg. 1625-1649)
und dem Parlament unter Oliver Cromwell (1599-1658)
sowie wegen Robert Dovers Tod im Jahre 1652 fielen sie zwischen 1642 und 1660 aus. Mit der Wiederherstellung der
Monarchie 1660 wurden sie wieder zum Leben erweckt und
tatsächlich bis 1851 benahe jedes Jahr ausgerichtet. 1965
wurde die ‘Robert Dover’s Games Society’ gegründet und die
Spiele auf lokaler Basis erneut ins Leben gerufen. 1679 gab
es – von den Spielen in Cotswold angeregt – eine Olympiade
in Hampton Court, die von König Charles II. (reg. 1660-1685)
veranstaltet wurde und Tausende Zuschauer zählte.
Auch das von der Revolution erschütterte Frankreich erinnerte sich der Spiele und richtete in den Jahren 1796, 1797
und 1798 die ‘Olympiades de la République’ aus, die wegen
der Instabilität der jungen Republik aber nicht mehr weitergeführt werden konnten. Im 18. und 19. Jahrhundert wurden an mehreren Orten in Europa Wettkämpfe veranstaltet,
die sich am griechischen Vorbild orientierten, und sei es nur
namentlich. Bescheidene Versuche gab es etwa 1776-1799 und 1840-1842 mit den
Wettkämpfen auf
dem Drehberg in
Anhalt-Dessau,
1832-1905 mit den
Spielen in Rondeau
bei Grenoble, 1834
und 1836 in Ramlöse
(Schweden) sowie
1850 bei den ‘Olympischen Spielen für
Handwerksgesellen’
im Rahmen des
Münchner Oktoberfestes. Dreimal fanden 1857-1859 die
Olympischen Spiele
des Allgemeinen
Turnvereins in Leipzig statt. 1862-1867
gab es in Liverpool
die ‘Olympic Festival
Events’, 1866 ein
‘Grand Olympic Festival’ in Leicester.
Zwischen 1850 und 1895 folgten die ‘Wenlock Olympian
Society Annual Games’ unter der Leitung des Landjunkers
William Penny Brookes (1809-1895) in der englischen Ortschaft Much Wenlock (Shropshire)21. 1860 wurde die
‘Wenlock Olympian Society’ gegründet, die die Leitung der
Spiele übernahm. Die ersten Spiele waren eine Mischung
aus Athletik und traditionellen englischen Sportarten wie
Ringewerfen, Fußball und Cricket. Brookes stand später in
engem Kontakt zu Pierre de Coubertin, nachdem dieser
1890 die Olympian Society besucht hatte und ihm zu Ehren
ein großes Fest veranstaltet worden war, und hat diesen
maßgeblich beeinflusst22. Nach dem Tod Brookes 1895 wurden die Spiele nur noch gelegentlich durchgeführt. 1950 und
1977 wurden sie wiederbelebt, seitdem werden sie jedes Jahr
wieder ausgetragen.
Nachdem sich Griechenland aus der jahrhundertelangen Besetzung durch das Osmanische Reich befreit hatte, bekundete es im Jahre 1827 ebenfalls sein Interesse an einer Wiederaufnahme der Wettkämpfe. Der griechische Kaufmann und
Mäzen Evangelos Zappas (1800-1865), einer der reichsten
Männer Osteuropas, ließ Sportveranstaltungen, die sog.
‘Olympien’, veranstalten, die internationale Beachtung fanden. Die ersten Wettkämpfe fanden 1859 in Athen statt23.
Neben Medaillen, Diplomen und Olivenzweigen wurden
auch Geldpreise übergeben. Bei der Siegerehrung überreichte König Otto I. (reg. 1833-1862) persönlich die Auszeichnungen. Die Wettkämpfe wurden nochmals 1870, 1875 und
1889 fortgesetzt. 1870 gab es eine Olympische Hymne und
einen Eid der Wettkämpfer. Die Olympien gelten als direkte
Vorläufer der Olympischen Spiele der Neuzeit.
Ernst Curtius, ein deutscher Gelehrter, der einige Jahre in
Griechenland gelebt und mehrere Bücher über dieses Land
geschrieben hatte, warb in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit großer Begeisterung in Vorträgen und Schriften für die Wiedererweckung der Olympischen Spiele24.
Seinem Appell war jedoch kein Erfolg beschieden. Immerhin
führten daraufhin deutsche Archäologen unter seiner
Leitung die Ausgrabungen in Olympia durch. Der französische Pädagoge und Geschichtswissenschaftler Pierre de
Frédy, Baron de Coubertin (1863-1937), kannte die Bemühungen von Curtius und setzte sich ebenfalls für eine Wiederbelebung der Olympischen Spiele in internationalem
Rahmen ein.
Pierre de Coubertin
Coubertin wurde am 1. Januar 1863 in der Rue Oudinot 20
in Paris als viertes und jüngstes Kind des Malers Charles
Louis de Frédy (1822-1908) und seiner Frau Agathe-Gabrielle de Crisenoy de Mirville in eine alte bürgerlich-adelige Familie hineingeboren; es gab fränkische, italienische
und normannische Vorfahren. Die Familie besaß außer dem
Stadthaus ein Schloss in Saint Remy-les-Chevreuses und das
Gut Mirveille in der Normandie. Pierre wuchs in Frankreich
in der Atmosphäre nationaler Demütigung auf. Frankreich
hatte den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 schmählich
verloren. Danach hatte einige Wochen lang in der Pariser
Kommune der Mob auf den Straßen der Stadt regiert; der
Aufstand wurde in einem Blutbad niedergeschlagen. „Monarchisten wie bürgerliche Liberale nahmen glücklich zur
Kenntnis, daß wieder Ordnung herrschte, doch die königliche Restauration konnte sich nicht durchsetzen, so daß die
Republik im Lauf des Jahres immer republikanischer wurde. Als Pierre zu studieren begann, hatten die Adligen nichts
mehr in Händen außer Erinnerungen an vergangenen
Ruhm, in der Regel versüßt durch genügend Geld, um sich
im Jockey Club zu tummeln und ihre Mätressen aus den
Folies-Bergère einigermaßen stilvoll auszuhalten.”25 Nach
dem Abitur studierte Coubertin an der ‘Ecole des Sciences
politiques’, die er mit einer breiten politischen, historischen,
soziologischen und pädagogischen Ausbildung mit bestem
Examen verließ. Die für ihn vorgesehene Offizierskarriere
trat er nicht an, widmete sich stattdessen der Pädagogik.
Finanziell unabhängig und journalistisch begabt sammelte
Coubertin Erfahrungen bei mehreren Bildungsreisen, darunter 1883 nach Großbritannien und 1889 in die USA. In
Großbritannien kam er mit den Ideen von Thomas Arnold
(1795-1842) in Berührung. Dieser war ein Theologe und Pädagoge, der für das kirchliche Leben und – mit seinem Ideal
des ‘christlichen Gentleman’ – für das Erziehungswesen in
England in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine zentrale Stellung einnahm (wobei auch der Sport und Gemeinschaftsspiele nicht zu kurz kommen sollten)26. Die englische Sporterziehung wollte Coubertin auch für die französische
Jugend übernehmen. Er fragte sich, ob irgendetwas an den
Erziehungsmethoden des eigenen Landes falsch sei. Für ihn
war die Niederlage im Krieg und die nachfolgenden chaotischen Monate ein Trauma. „Derlei gewaltsame Erhebungen, so meinte Coubertin, waren selbst für eine große Nation wie die französische schwerlich zu verkraften. Er bezeichnete die Franzosen seiner Jugend als ein ‘mit sich
selbst unzufriedenes Volk. Jede Regierung, die den Monarchisten mißfiel, war den Republikanern nicht gut genug.
Und auf allem lastete ein Gefühl der nationalen Ohnmacht,
etwas von Bestand schaffen zu können.’ In seinen Augen
war eine moralische Erneuerung nötig, vorzugsweise durch
Erziehung. Die alte Aristokratie, der die republikanische
Bourgoisie mißtraute und sie deshalb ins Abseits drängte,
konnte la patrie nicht mehr anspornen. Eine andere Elite
mußte her. So sollte eine neue Gruppe von notables den Weg
weisen und die Nation ‘stählen’.”27
Coubertin begeisterte sich für Reiten, Boxen, Rudern, Fechten und Tennis und begann, in Zeitungen und Zeitschriften für den Sport zu werben. Er gründete einen Fechtclub in seiner Geburtsstadt Paris und forderte, dass wie in England Schulsportvereine gegründet, dass Schulen mit Sportfeldern ausgestattet würden. Coubertin kam schließlich zu der Überzeugung, dass in der Erziehung neue Wege unerlässlich seien, und wollte durch die sportliche Ausbildung den ganzen Menschen in der Einheit von Körper, Geist und Seele erfassen und formen. Er engagierte sich beim Aufbau von Schülersportvereinen, später als Generalsekretär der von ihm initiierten nationalen Schulsportföderation USFSA. 1887 regte er die Gründung der ‘Ligue de l’Éducation physique’ an. Er wollte Frankreichs Gesellschaft reformieren, und ein Mittel dazu war für ihn die sportliche Betätigung der Jugend, vor allem aber die Erweckung des ‘Sportsgeistes’. „Auf dem Weg zum neuen Menschen, meinte Pierre de Coubertin, möge der Athlet voranschreiten. Die Gesellschaft würde schon folgen”28. Er schrieb zu Anfang des 20. Jahrhundert auch mehrere Studien über pädagogische Fragen. Die Begeisterung für die antike griechische Kultur, die deutschen Ausgrabungen in Olympia 1875-1881 und die zahlreichen ‘olympischen’ Sportfeste in vielen Ländern weckten bei ihm das Interesse an internationalen Olympischen Spielen.
Wiederbelebung der Spiele
Der von der erzieherischen und sozialisierenden Wirkung
des Sports überzeugte Coubertin sah in der Wiederbelebung
der Olympischen Spiele der Antike eine Chance, die Völker
und Nationen der Welt einander näherzubringen, nationale Egoismen zu überwinden und zu Frieden und internationaler Verständigung beizutragen. Der Gedanke einer Erneuerung der Olympischen Spiele wuchs in ihm vermutlich seit
1886, beharrlich warb er nunmehr durch Zeitungsartikel
und Vorträge für die Verwirklichung dieser Idee.
Im November 1892 bei einer Feier zum fünfjährigen Bestehen der Vereinigung der französischen Sportverbände
(USFSA) sprach Coubertin die Idee der Erneuerung der
Olympischen Spiele erstmals in größerem Rahmen aus.
Dieser Anstoß blieb jedoch noch ohne Resonanz. Zwei Jahre
später, vom 16. bis 23. Juni 1894, wurde an der Sorbonne-Universität in Paris ein internationaler Sportkongress zur
Regelung von Amateurfragen abgehalten. Vertreter aus vielen europäischen Ländern waren dort zugegen. Coubertin
präsentierte dort seine Vorstellungen zur Wiederbelebung
der Olympischen Spiele unter den Bedingungen der Neuzeit
erneut. Coubertin hatte übrigens auch William P. Brookes,
den Begründer der ‘Wenlock Olympian Games’, zu der Konferenz eingeladen, von dem er ja die Inspiration für seine
Idee gehabt hatte. Dieser fühlte sich jedoch mit seinen 85
Jahren der Reise gesundheitlich nicht mehr gewachsen29.
Eine von dem griechischen Deligierten Dimitrios Vikelas
(1835-1908) geleitete Kommission arbeitete an der Organisation zur Wiederaufnahme der Spiele. Am letzten Kongresstag wurde von den Teilnehmern der Beschluss gefasst,
dass die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit im Jahr
1896 in Athen – im Ursprungsland der Spiele – stattfinden
sollten. Organisation, Programm und Verlauf des Kongresses hinterließen bei den Teilnehmern einen nachhaltigen
Eindruck. Zum gelungenen Verlauf hatte der von Coubertin
geschickt arrangierte äußere Rahmen mit einer großen Zahl
von Festlichkeiten besonders beigetragen. „Der Kongreß in
der Sorbonne war ein Meisterstück der Diplomatie. Die
Versammelten wurden überwältigt (...).”30 Coubertin hatte
diesmal gut vorgearbeitet und viele Deligierte im Vorfeld für
seine Idee gewinnen können.
Coubertin und seine Mitstreiter hatten ein Ideal vor Augen,
das es so niemals – und auch nicht bei den antiken Olympischen Spielen – gegeben hat, das aber an der Wende vom 19.
zum 20. Jahrhundert gängige Vorstellung war. Ob dieses
Ideal historisch stimmte oder nicht, war auch vollkommen
zweitrangig. Dem Hellenismus, dem der Baron und seine
Anhänger nachhingen, ging es weniger um geschichtliche
Genauigkeit als eher um seine Anwendung in der Gegenwart. Sie folgten dieser idealisierten Vorstellung von antikem Sport „und verbanden sie mit den Praktiken, die ihnen
in ihrer Zeit am fortschrittlichsten galten: Olympia mit
English Sports. (...) Der Baron hatte die Spiele als Erbe der
Hochkultur, der es nachzueifern galt, neu belebt und damit
ein volkspädagogisches Ziel verfolgt: Man müsse eine
gesunde Verbindung von Geist und Körper fördern, ‘mens
sana in corpore sano’, um die jungen Männer besser auf
ihre Aufgaben vorzubereiten. (...) Coubertin legte seinem
Olympia ein Ideal zugrunde, auf das man sich international
in der Theorie einigen konnte: ein Fest der Jugend für den
Frieden und zur ‘Ehre der Menschheit’. Das vermochte Sinn
zu stiften und das eigene Verhalten zu erhöhen. Und das
bewirkte tatsächlich eine kulturelle Aufwertung der Spiele
der Neuzeit, wodurch wiederum das antike Original stark
an Bedeutung gewann”31.
Im Olympiabuch von 1928 hat der Sportfunktionär und damalige Missionschef der deutschen Olympiamannschaft
Carl Diem (1882-1962) einige Gedanken zur Geschichte der
modernen Olympischen Spiele zusammengefasst. Über Coubertin und seine Idee schrieb er: „Seine ungewöhnlich hohe
Bildung, aus allen Kulturen genährt und weite Bezirke der Wissenschaft und Kunst umfassend, setzte ihn in den Stand,
das menschlich Allgemein-Gültige und für die zukünftige
Kultur Bedeutungsvolle der jungen Sportbewegung zu erkennen. Um sie zur Trägerin künftiger Kultur zu machen,
wollte er ihr ein Hochziel geben. Er schlug daher vor, die
alten Olympischen Spiele, die mit dem Niedergang Griechenlands anderthalb Jahrtausende verschüttet waren, zu
neuem Leben wieder auferstehen zu lassen. Er wollte diese
früheren Spiele nicht als den Ausdruck eines gemeinsamen
Nationalbewußtseins, sondern eines gemeinsamen Kulturbewußtseins angesehen wissen, und man kann ihm darin
wohl recht geben, da der Begriff einer nationalen Zusammengehörigkeit den Griechen unbekannt war.
Die Kulturgemeinschaft, die in den alten Spielen zum Ausdruck kam, entspricht vielleicht dem Gemeinschaftsgefühl
der heutigen Kulturwelt, und so schlug Coubertin vor, die
Spiele international zu eröffnen, dergestalt, daß alle Kulturmächte aufgefordert sein sollten, an ihnen teilzunehmen
und daß zweitens der Ort der Spiele von Kulturnation zu
Kulturnation wandern sollte.”32
Zur Verwirklichung der Beschlüsse des Kongresses wurde
ein ‘Comité International Olympique’ gegründet. Der 23.
Juni 1894, der letzte Tag des Kongresses, gilt als Gründungsdatum des IOC; der Kongress wurde später als erster
Olympischer Kongress gezählt33. Der erste Präsident des IOC wurde der bereits erwähnte Dimitrios Vikelas, Coubertin
amtierte zunächst als Generalsekretär. Ihm war daran gelegen, ein hohes Interesse für die Olympischen Spiele zu
wecken, um ihnen ‘den Nimbus von Größe und Ruhm verleihen zu können’, wie Coubertin es selbst formulierte. Die
ersten Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees, die einen Monat nach dem Kongress von Coubertin
persönlich berufen wurden, sollten deshalb möglichst aus
allen Teilen der Welt kommen und dort aufgrund ihres Ansehens und ihrer Beziehungen die olympische Idee verbreiten. Etwa die Hälfte der Mitglieder kam aus der Sportbewegung, die andere Hälfte wurde aus herausragenden Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zusammengestellt.
Anfangs gab es nur sehr wenige Bestimmungen, die das
Handeln des IOC regelten. Die ersten schriftlichen Definitionen und Statuten stammen erst aus dem Jahr 1908. 1924
wurden auf einer IOC-Tagung in Rom die Entscheidungen
des Komitees in einem Regelwerk zusammengefasst34. Diese
Charta enthielt verbindliche Vorgaben für alle beteiligten
Sportverbände und regelte auch den Ablauf der Olympischen Spiele. Das IOC ist eine nichtstaatliche Organisation,
die ihren Sitz in Lausanne in der Schweiz unterhält. Rechtlich gesehen handelt es sich um ein im Schweizer Handelsregister eingetragenen Verein35. Das IOC hält die Schirmherrschaft über die gesamte olympische Bewegung und
beansprucht alle Rechte an den olympischen Symbolen. Der
Vertrieb und die Vermarktung der Rechte bringen ihr regelmäßig hohe Einkünfte ein und ihren Spielen die Garantie
der großen Weltbühne.
Etwa dreißig Jahre später konnte Godefroy de Blonay (1869-
1937), Schweizer Mitglied des Internationalen Olympischen
Komitees, im Vorwort zum Buch über die Olympischen Spiele in Paris 1924 unter der Überschrift ‘Die Entwicklung des
Olympismus’ feststellen: „Die Hoffnungen, die 1895 auf die
wachsende sportliche Betätigung in der ganzen Welt gesetzt wurden, sind in Erfüllung gegangen. Durch den Olympismus, der ihn in einen praktischen und zugleich idealen
Rahmen stellte, ist der Sport im Begriffe, sich zum mächtigen Hebel allgemeinen Fortschrittes zu entwickeln. Vielleicht wird er morgen eine ausgeglichenere Auffassung des
Lebens vermitteln, wo der einzelne Mensch und die Nation
ihre Kräfte zum Besten der Menschheit gebrauchen werden.” Inzwischen seien die Ziele des Sports jedoch schon weiter gesteckt worden: „(...) ursprünglich Entwicklung der
männlichen Schönheit, hat man ihn durch kräftige und geschulte Bewegung zu einem das körperliche und geistige
Gleichgewicht fördernden Faktor erhoben, dank des beigegebenen olympischen Elements. Im gleichen Masse, wie
diese Intervention im Verlaufe von dreissig Jahren sich
fühlbar machte, galt es, Etappen zu überspringen, Fehler zu
vermeiden, sich vor falschen Auslegungen zu schützen und, kurz gesagt, das erzieherische Moment so weit zu pflegen,
dass man den Ausgangspunkt kaum mehr zu erkennen vermag.”36
Deutsche Deligierte waren zu dem Kongress in der Sorbonne
1894 nicht eingeladen worden. Schon hier stieß Coubertin,
ein Franzose und Kind seiner Zeit, an seine Grenzen. Französische Sportverbände hatten mit dem Boykott gedroht,
falls Deutsche dort teilnehmen würden. Der Stachel der
Niederlage von 1870/71 saß in Frankreich immer noch sehr
tief. Der Deutsche Turnerbund, damals der größte Athletenverband der Welt, sah wegen dieser Zurückweisung die nationale Würde verletzt. Es gab einen regen Briefwechsel zwischen Coubertin und den Verantwortlichen in Deutschland
und Griechenland. Der Vorstand des Deutschen Turner-Bundes lehnte eine Einladung des Griechischen Komitees
der Olympischen Spiele zur Teilnahme an den ersten Spielen
in einem Brief am 18. Dezember 1895 ab.
„Weniger als ein Jahrhundert zuvor hatten deutsche Patrioten in dem Bemühen, ihre Jugend zu stählen, nachdem
Napoleons Ideen sie gedemütigt hatten, das Massenturnen
als wünschenswerte Form der Leibesertüchtigung aufgebracht. (...) Massenturnen, Dehnen und Strecken im Gleichtakt, An-den-Ringen-Schaukeln und Über-das-Seitpferd-Springen waren nicht nur ‘natürliche’, ‘frische’, ‘gesunde’
Übungen, sondern auch Ausdruck der Tugenden des deutschen Volkes, wie romantische Patrioten sie definierten:
Stürmischkeit und Ordnung, ungestüme Kraft und das
Führerprinzip.” Dies galt dort fortan als der ‘deutsche Weg’
der Leibesertüchtigung. „Grob könnte man eine politische
Unterscheidung treffen zwischen dieser Form der deutschen Leibesertüchtigung und den britischen Spielen, die Coubertin selbst mit dem Gegensatz zwischen Sparta und
Athen verglich. Erstere förderte Einheit, militärische Disziplin und Kollektivismus, letztere dagegen Wettbewerb, individuelles Engagement und ein Bekenntnis zu Regeln und
Gesetzen.”37. Das Turnen lehnte den Wettbewerb mittels
Stoppuhr und Metermaß grundsätzlich ab. Ihm ging es um
‘Schönheit’ und ‘Perfektion’ der Körper und der Übungen.
Bis heute, wo das Turnen – und auch ähnlich geartete Schauwettbewerbe wie Turmspringen, Synchronschwimmen oder
Eiskunstlaufen – in die Olympischen Wettbewerbe aufgenommen sind, verspürt man auch als Zuschauer bisweilen
ein diffuses Unwohlsein, wenn man die Versuche sieht,
Sieger und Verlierer mittels Punktrichtern zu bestimmen,
die Schönheit und Perfektion der Übungen beurteilen und
dabei zwangsweise sehr subjektive Kriterien anwenden müssen. Schau- und Vorführübungen werden so in ein Wettbewerbsschema gepresst, in das sie ihrer Wesensart nach nicht
hineinpassen. Diese tiefgehenden Unterschiede zwischen
deutschem ‘Turnen’ und englischem ‘Sport’ waren vermutlich der eigentliche Grund für die Ablehnung des Turnerbundes, an den Spielen teilzunehmen. Dieser wendete in der
Folgezeit die in Deutschland verbreitete antifranzösische
Stimmung auch gegen die Olympische Idee und setzte seinen ganzen Einfluss daran, dass aus Deutschland keine Athleten zu den ersten Olympischen Spielen entsandt wurden.
Es war ein Mann, der in mühevoller Kleinarbeit und fortwährender Werbung für dieses Ereignis die Stimmung drehen konnte. Der Chemiker Dr. Willibald Gebhardt (1861-1921)
war der Begründer der Olympischen Bewegung in Deutschland. Am 13. Dezember 1895 wurde im Hotel ‘Vier Jahreszeiten’ in Berlin durch vierzig Personen das ‘Komitee für die
Beteiligung Deutschlands an den Olympischen Spielen zu
Athen’ gegründet. Präsident wurde Erbprinz Philipp Ernst
zu Hohenlohe-Schillingsfürst (1853-1915), der Sohn des
Reichskanzlers. Gebhardt konnte in der Folgezeit genug
Sportler – und auch einige Turner – von einer Teilnahme an
den Spielen überzeugen, so dass schließlich doch eine Mannschaft unter seiner Leitung nach Athen fuhr. Im Rahmen der
Vorbereitungen für die ersten Olympischen Spiele war die
Ernennung eines Deutschen in das IOC nicht mehr zu umgehen. Im Januar 1896 wurde Willibald Gebhardt zum IOC-Mitglied ernannt, im März wurde dies mit der Zustimmung von Coubertin bestätigt. Gebhardt gehörte dem IOC bis 1909
an38. Erst im März 1896 wurden die deutschen Olympia-Teilnehmer bekanntgegeben, eine Mannschaft aus 21 Aktiven, immerhin das zweitgrößte Kontingent in Athen nach
den Griechen. Die deutsche Öffentlichkeit nahm kaum Notiz
davon, in den Zeitungen finden sich keinerlei Berichte über
die ersten Olympischen Spiele.
Die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit
Am 6. April 1896 wurden in Athen die ersten Olympischen
Spiele der Neuzeit im Panathinaiko-Stadion, ein in die
Hügellandschaft eingepasstes hufeisenförmiges Oval, eröffnet. Eigentlich hatte Coubertin die ersten Spiele im Jahr
1900 in Paris während der Weltausstellung austragen lassen
wollen. Die Kongressteilnehmer von 1894 hatten diesem
Vorschlag nicht zugestimmt. Wenn man zu lange warte,
könnte das Interesse an der Sache wieder verschwinden. So traten also 1896 in Athen etwa 260 ausschließlich männliche
Amateursportler aus 14 Nationen zu den Spielen an. „Um
dieses Ideal zu verwirklichen, hatte es eines schier unglaublichen Aufwands an Komiteearbeit, Tischreden, Bewirtung
von Granden, Bekämpfung deutscher Turner und Umwerbung bedeutender Damen und Herren mit oder ohne Titel
bedurft. Manchmal mußte es so erschienen sein, als habe
nur noch Coubertin selbst daran geglaubt. Das 1894 in
Paris unter viel Fanfarenklängen, Trinksprüchen und Absingen der olympischen Hymne gegründete Internationale
Olympische Komitee war anfangs kaum mehr als ein großes Brimborium mit edlen Absichten.”39 Griechenland war
in dieser Zeit politisch instabil und hatte mit finanziellen
Problemen zu kämpfen. Mit Unterstützung der griechischen
Regierung und des Königshauses wurden viele Anlaufschwierigkeiten überwunden, während es durch die Großzügigkeit des Kaufmanns und Mäzens Georgios Averoff (1815-
1899) ermöglicht wurde, auf den Fundamenten des antiken
Stadions eine grandiose Wettkampfstätte zu errichten40.
Der überwiegende Anteil unter den Teilnehmern bestand
aus griechischen Sportlern, die übrigen fast ausschließlich
aus Europa. Neben 14 Amerikanern traten noch ein Sportler
aus Chile und ein Australier an, der aber Mitglied des Londoner Athletic-Clubs war. 60.000 Zuschauer verfolgten die
Wettkämpfe, die zu einem großen und international angesehenen Sportereignis avancierten. Auf dem Programm standen Wettbewerbe der Leichtathletik, dazu Turnen, Fechten,
Tennis, Gewichtheben, Ringen, Radfahren, Schießen, Schwimmen und Rudern. Das Boxen fand Coubertin nicht ‘gentlemenlike’ genug, und obwohl es international recht populär
war, blieb diese Sportart in Athen ausgeschlossen. Im Vergleich zu den heutigen Spielen waren diese Wettbewerbe
sehr klein, aber für damalige Verhältnisse hatten sie eine bis
dahin nicht erreichte Größe. Erster Olympiasieger seit über
1500 Jahren wurde der Amerikaner James Conolly (1865-
1957), der im Dreisprung mit einer Weite von 13,71 Metern
gewann und dabei einen Meter weiter sprang als der Zweite.
Im 100-Meter-Lauf gewann der Amerikaner Thomas Burke
(1875-1929), weil er mit dem erstmals praktizierten Tiefstart
etwas schneller aus dem Start kam als die Konkurrenten.
Burke gewann auch die 400 Meter. Robert Garret (1875-
1961) siegte im Kugelstoßen und im Diskuswerfen und belegte zweite Plätze im Hoch- und im Weitsprung. Der Australier Edwin Flack (1873-1935) gewann den 800-Meter-Lauf und den Lauf über 1500 Meter. Er nahm auch am Marathonlauf teil, brach aber vier Kilometer vor dem Ziel zusammen. Im Tennis-Wettbewerb trat er im Einzel und im
Doppel an; im Einzel schied er in der ersten Runde aus, im
Doppel belegte er den 3. Platz. Das stürmische Wetter zwang
zur Absage der Segel- und Ruderwettbewerbe. Die Schwimmer zogen ihre Bahnen nicht in einem Becken, sondern im
Meer, und waren ebenfalls durch das Wetter beeinträchtigt.
Im Radfahren dominierten die Franzosen, im Turnen die
Deutschen. Erfolgreichster Athlet der Spiele war Carl
Schuhmann (1869-1946) aus Münster, der im Turnen, im
Ringen und im Gewichtheben viermal Sieger und einmal
Dritter wurde41.
Höhepunkt der Spiele war der Marathonlauf. Dieses Rennen, das nicht zum Programm der antiken Spiele gehört
hatte, war von dem französischen Philologen Michel Bréal
(1832-1915), der an dem Olympischen Kongress 1894 teilgenommen hatte, angeregt worden. Gerade in diesem Wettbewerb wollten die Griechen, die noch ohne Sieg in der Leichtathletik waren, unbedingt gewinnen. Sie stellten zwölf der
insgesamt nur 16 Teilnehmer. Das Rennen führte von der
Kleinstadt Marathon an der Ostküste von Attika über 25
Meilen (ungefähr 40 Kilometer) zum Olympiastadion in
Athen42. Zunächst lagen die ausländischen Läufer vorne,
unter ihnen ein Franzose, ein Amerikaner und ein Australier. Diese verließen jedoch nach und nach die Kräfte, da sie
noch nie solche langen Strecken gelaufen waren, und der
23jährige griechische Wasserträger Spyridon Louis (1873-
1940) holte sich den Sieg. Im Stadion spielten sich unbeschreibliche Jubelszenen ab. Als Louis vor dem Stadion erschien, liefen ihm Kronprinz Konstantin und Prinz Georg
entgegen und begleiteten ihn dann auf der letzten Runde.
Der Sieger erreichte das Ziel mit acht Minuten Vorsprung
vor seinen Landsleuten Charilaos Vasilakos (1877-1969) und
Spyridon Belokas (1878-?). Belokas wurde später disqualifiziert, weil er eine Wegstrecke mit einem Fuhrwerk gefahren
war, stattdessen wurde der Ungar Gyula Kellner (1871-1940) auf den 3. Platz gesetzt. Spyridon Louis stammte aus dem
kleinen Ort Maroussi bei Athen. Er war von dem Trubel um
seine Person vollkommen überfordert und zog sich nach den
Spielen in sein Heimatdorf zurück; an offiziellen Wettkämpfen nahm er nie wieder teil. Seinen letzten großen öffentlichen Auftritt hatte er als Ehrengast bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin, wo er bei der Eröffnungsfeier
Adolf Hitler einen in Olympia gepflückten Olivenzweig überreichte. 1940 starb er 67-jährig an einem Herzinfarkt.
In Athen fanden 43 Wettbewerbe in neun Sportarten statt.
Die Sieger erhielten einen Ölzweig und eine Silbermedaille
mit Ehrenurkunde, für den Zweiten gab es einen Lorbeerzweig und eine Kupfermedaille. (Die heute bekannten Siegermedaillen in Gold, Silber und Bronze für die drei Erstplatzierten gibt es erst seit 1904.) Die Sieger erhielten ihre
Medaillen gemeinsam am letzten Tag der Spiele, dem 15.
April 1896, bei strömendem Regen vom griechischen König
überreicht43. Viele Sieger erhielten zusätzlich von privater
Seite gestiftete Preise, darunter silberne oder goldene Pokale, silberne Vasen oder kleine Skulpturen. Anschließend gab
es einen Festzug aller Preisträger, der von Spyridon Louis
angeführt wurde.
Dreißig Jahre später hat der Sportpädagoge Wilhelm Dörr
(1881-1955) im Olympiabuch von 192444 die Bedeutung dieser Spiele so kommentiert: „Die Veranstaltung an sich war
nach heutigen Begriffen kein Erfolg, aber zu jener Zeit bedeutete sie ein ungeheuer sportbefruchtendes Ereignis. Das
Riesenmarmorstadion am Fusse der Akropolis, die klassischen Konkurrenzen, der ganze Hauch, der über dem Feste
lag, entflammten alle Wettkämpfer und Zuschauer zu hoher
Begeisterung und streuten olympischen Samen und Geist in
die ganze Welt”.
1 Siehe Swaddling: Ancient Olympic Games, S. 38-39.
2 Vgl. Bengtson: Olympische Spiele, S. 29, 32-33, 62 und Klose/Stumpf:
Sport Spiele Sieg, S. 3-4.
3 Siehe Klose/Stumpf: Sport Spiele Sieg, S. 37-38 und 40-41 sowie Swaddling: Ancient Olympic Games, S. 8-11. Die pythischen Spiele wurden zu
Ehren des Apollon, der ja auch sonst in Delphi verehrt wurde, abgehalten.
Die Nemeischen Spiele fanden alle zwei Jahre zu Ehren des Zeus, die Isthmischen Spiele ebenfalls alle zwei Jahre zu Ehren des Poseidon statt. Ein
Sportler, der während eines Vierjahreszyklus in einer Sportart in allen vier
Spielen siegte, erhielt den Titel 'Periodonike'.
4 Siehe Bengtson: Olympische Spiele, S. 33; Der Kleine Pauly, Bd. 4, Sp.
286-287 und Swaddling: Ancient Olympic Games, S. 53-54. Die Spiele in
Olympia fanden jeweils im ersten Jahr der Olympiade statt, die Spiele in
Nemea und diejenigen in Korinth im zweiten und vierten Jahr der
Olympiade, die Spiele in Delphi im dritten Jahr. So gab es also in jedem
Jahr ein großes sportliches Ereignis in Griechenland.
5 Vgl. Swaddling: Ancient Olympic Games, S. 40.
6 Siehe Klose/Stumpf: Sport Spiele Sieg, S. 90-91 und Swaddling: Ancient
Olympic Games, S. 90. Überhaupt gab es bei allen vier panhellenischen
Spielen nur symbolische Ehrenkränze als Siegespreise: in Delphi aus Lorbeer, in Nemea aus getrockneter Sellerie, in Korinth aus frischer Sellerie,
später aus Fichten. Erst die Heimatstädte zahlten den Siegern hohe Summen und verliehen ihnen sonstige Ehrenrechte wie freie Kost und Logis,
Theaterplätze oder errichteten ihnen Statuen, die den Triumph der Mit- und
Nachwelt verkündeten. Geldpreise gab es später bei den anderen Sportfesten, die viele Städte ausrichteten; und ein guter Athlet konnte sich durchaus seinen Lebensunterhalt dadurch verdienen, dass er von einer Sportveranstaltung zur nächsten reiste.
7 Siehe Der Kleine Pauly, Bd. 4, Sp. 281; Klose/Stumpf: Sport Spiele Sieg,
S. 8-9 und Swaddling: Ancient Olympic Games, S. 29-31.
8 Siehe die Listen bei Klose/Stumpf: Sport Spiele Sieg, S. 15 und bei
Swaddling: Ancient Olympic Games, S. 54, 57-89. Übrigens leitet sich der
Begriff 'Stadion' für eine Wettkampfstätte von dem altgriechischenen Längenmaß 'Stadion' her, das 600 Fuß umfasste und entsprechend den unterschiedlichen Fußnormen verschieden lang sein konnte – in Olympia eben
192 Meter. Auch die Bezeichnung für den Lauf selbst war 'Stadion', abgeleitet von der Strecke, über die er ausgetragen wurde. Das Rennen verlief
in gerader Richtung vom Start- bis zum Zielpunkt. Die erste Stadion-Anlage
in Olympia befand sich noch im Heiligtum selbst; der Lauf wurde immer in
Richtung auf den Zeustempel und den Altar ausgetragen. Erst im 4. Jahrhundert v. Chr. wurde die Wettkampfstätte dann aus dem Heiligen Bezirk
hinausverlegt, was jedoch keine Loslösung vom Kult bedeutete (siehe Der
Kleine Pauly, Bd. 5, Sp. 336-338).
9 Vgl. Bengtson: Olympische Spiele, S. 21-25, 34-56, 62-63, 83-84.
10 Vgl. Klose/Stumpf: Sport Spiele Sieg, S. 19.
11 Siehe Swaddling: Ancient Olympic Games, S. 11.
12 Vgl. Swaddling: Ancient Olympic Games, S. 40-43. Klose/Stumpf: Sport
Spiele Sieg, S. 14 erwähnen allerdings, dass Frauen bei Wagenrennen gesiegt hätten, da dort nicht die eigentlichen Wagenlenker, sondern die Besitzer (oder eben die Besitzerinnen) des Gespanns mit dem Siegeslorbeer
bedacht wurden.
13 Siehe Bengtson: Olympische Spiele, S. 86.
14 Siehe Sueton: Nero 24,2. Nero hatte zuvor eigens die Spiele von 65 auf
67 n. Chr. verlegen lassen, damit er überhaupt persönlich teilnehmen konnte. Zum Sieger erklärt wurde er außerdem auch bei diversen künstlerischen
Wettbewerben, siehe Klose/Stumpf: Sport Spiele Sieg, S. 19 und 140-142.
Seine sechs Siege bei diesen Spielen stellen einen Rekord dar. Nach den
damaligen Konventionen der Aristokratie und den Erwartungen an einen
Kaiser war das Auftreten bei Wettkämpfen – und auch bei Theateraufführungen und Sängerwettstreiten, die er in Griechenland ebenfalls bestritt –
allerdings unerhört und dem kaiserlichen Rang nicht angemessen.
15 Vgl. Bengtson: Olympische Spiele, S. 33 und Swaddling: Ancient Olympic Games, S. 7.
16 Vgl. Der Kleine Pauly, Bd. 4, Sp. 283 und Swaddling: Ancient Olympic
Games, S. 13-16.
17 Siehe Swaddling: Ancient Olympic Games, S. 13 und Zeyringer: Olympische Spiele, Bd. 1, S. 34.
18 Siehe Bengtson: Olympische Spiele, S. 4-5 und Swaddling: Ancient
Olympic Games, S. 16.
19 Zeyringer: Olympische Spiele, Bd. 1, S. 34-35.
20 Zum Folgenden siehe Lennartz/Höfer/Borgers: Olympische Siege, S. 94-
96; Swaddling: Ancient Olympic Games, S. 104-105 und Zeyringer: Olympische Spiele, Bd. 1, S. 41-42.
21 Vgl. Zeyringer: Olympische Spiele, Bd. 1, S. 43-44.
22 Siehe Buruma: Europas englischer Traum, S. 215-217 und Swaddling:
Ancient Olympic Games, S. 101.
23 Siehe Lautenschläger: Geschichte, S. 5 und Swaddling: Ancient Olympic
Games, S. 104.
24 Vgl. Eberhardt: Michel Olympia-Münzen, S. 67, 170.
25 Buruma: Europas englischer Traum, S. 189.
26 Wikipedia 'Pierre de Coubertin', aufgerufen 31.8.2017. Zu Thomas
Arnolds Weltanschauung siehe Buruma: Europas englischer Traum, S. 207-
209.
27 Buruma: Europas englischer Traum, S. 190-191.
28 Zeyringer: Olympische Spiele, Bd. 1, S. 55.
29 Vgl. Zeyringer: Olympische Spiele, Bd. 1, S. 44.
30 Kirn: Pierre de Couberin, S. 522.
31 Zeyringer: Olympische Spiele, Bd. 1, S. 14.
32 Olympische Spiele 1928, S. 11.
33 Vgl. Lautenschläger: Geschichte, S. 5.
34 Siehe Lautenschläger: Geschichte, S. 6-7.
35 Siehe Wikipedia 'Internationales Olympisches Komitee', aufgerufen 31.8.2017.
36 Die Olympischen Spiele 1924, S. 9.
37 Buruma: Europas englischer Traum, S. 212-213.
38 Vgl. Coubertin: Campagne, S. 123-125 und Zeyringer: Olympische Spiele, S. 69. Auch für die folgenden Olympischen Spiele 1900 in Paris, 1904 in
St. Louis und 1906 in Athen (sog. Zwischenspiele) gründete Gebhardt jeweils neue Organisationskomitees und leitete die zu den Spielen geschickten Mannschaften. Es gelang ihm jedoch zeit seines Lebens nicht, ein dauerhaftes Nationales Olympisches Komitee in Deutschland zu gründen.
Gebhardt starb 1921 in Folge eines Verkehrsunfalls.
39 Buruma: Europas englischer Traum, S. 217.
40 Vgl. Lennartz/Höfer/Borgers: Olympische Siege, S. 99.
41 Hermann Weingärtner (1864-1919) aus Frankfurt an der Oder hat im Turnen dreimal den ersten, zweimal den zweiten und einmal den dritten Platz
errungen, Alfred Flatow (1869-1942) aus Danzig ebenfalls im Turnen dreimal den ersten und einmal den zweiten Platz. Flatow war Jude und starb
1942 im KZ Theresienstadt.
42 Auch in den folgenden Olympischen Spielen betrug die Strecke stets
etwa 40 Kilometer, war aber jeweils nicht genau ausgemessen, sondern
den jeweiligen örtlichen Verhältnissen angepasst. Die heutige Strecke von
42,195 Kilometer ist erstmals 1908 in London festgelegt worden, weil dies
die exakte Entfernung zwischen Schloss Windsor, wo das Rennen gestartet
wurde, und dem Ziel vor der königlichen Loge im Olympiastadion in London
war. Diese Entfernung wurde dann 1921 für offiziell gültig erklärt, um erzielte Leistungen vergleichen zu können. Der antike Läufer, der im Jahre
490 v. Chr. von Marathon nach Athen gelaufen war, um dort den Sieg über
die Perser zu verkünden und nach dessen Vorbild der Marathonlauf eingerichtet wurde, hat nach heutigen Erkenntnissen übrigens vermutlich den
kürzesten Weg über das Pentelikon-Gebirge genommen und dabei höchstens 34 Kilometer zurückgelegt. Viele Historiker halten die ganze Geschichte überdies insgesamt für eine Erfindung aus der römischen Kaiserzeit
durch den Geschichtsschreiber Plutarch (um 45-um 125 n. Chr.) und den
Satiriker Lucianus von Samosata (um 120-vor 180 n. Chr.), da es keine zeitgenössischen Quellen zu diesem Ereignis gibt (siehe Plutarch: Gloria
Atheniensium 3,4-5 bzw. Lucianus: Pro lapsu 3).
43 Deutschland errang sechs erste, fünf zweite und zwei dritte Plätze und
lag in der inoffiziellen Nationenwertung damit hinter den USA (11/7/2) und
Griechenland (10/17/19), aber vor Frankreich (5/4/2) und Großbritannien
(2/3/2). Die Diskrepanz zu den Angaben in Fußnote 41 erklärt sich dadurch, dass einige Platzierungen in Mannschaftswettbewerben errungen
wurden, die in der Einzelaufzählung dann ja mehrfach gezählt werden. In
den folgenden Spielen erreichte Deutschland ähnliche Ergebnisse: 1900
Paris 3/2/2, 1904 St. Louis 4/4/4, 1906 Athen 4/6/5, 1908 London 3/5/5
und 1912 Stockholm 5/13/7.
44 Die Olympischen Spiele 1924, S. 143. Wilhelm Dörr nahm als Diskuswerfer und Moderner Fünfkämpfer an den Zwischenspielen in Athen 1906 – von
denen in Teil 2 noch die Rede sein wird – teil und errang im Mannschafts-Tauziehen die Goldmedaille. Später hat er mehrere Bücher zu sportpädagogischen Fragestellungen geschrieben.