Publications:In arte voluptas - Medallien und Abzeichen der Schlaraffia: Unterschied zwischen den Versionen

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'''In arte voluptas'''<br>
 
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'''Medaillen und Abzeichen der Schlaraffia'''<br>
 
'''Medaillen und Abzeichen der Schlaraffia'''<br>

Version vom 1. März 2021, 18:03 Uhr

In arte voluptas
Medaillen und Abzeichen der Schlaraffia
Achim Feldmann


Der Münzgalerie München ist es kürzlich gelungen, aus einem Nachlass eine mit vielen Abzeichen besteckte Mütze, einen 'Schlaraffen-Pass' und eine 'Stammrolle der Schlaraffenreyche in Deutschland' zu erwerben, die zunächst etwas ratlose Gesichter hinterließen. Uns fiel dann ein, dass in einer vergessenen Ecke noch einige Abzeichen schlummerten, an die wir uns bisher nicht so recht rangetraut hatten. Mit dem Begriff 'Schlaraffia' hatte niemand etwas anfangen können. Erst nach einigen Wochen des 'Googelns' und Recherchierens nahm die Sache langsam Konturen an, die Ergebnisse zeigen wir hier. Bei den folgenden Ausführungen kann es sich - bei einem Nicht-Schlaraffen als Autor - natürlich nur um Annäherungen an Wesen und Zweck des Bundes handeln. Ich hoffe jedoch, trotzdem den Geist der Schlaraffia einigermaßen verdeutlichen zu können.

Was ist Schlaraffia?
“Wer erinnert sich nicht an seine Schulzeit, wenn in Pausen Rollenspiele zu Lasten der Lehrer unter Überzeichnung von Eigenarten auf Kosten derselben zur allgemeinen Erheiterung in der Schülerschaft führten. Ganz ähnlich ist es beim schlaraffischen Spiel, nur dass es hier um die Überzeichnung des historischen Herrschaftsverhältnisses im Rahmen eines Ritterspieles geht, dessen mehr oder weniger festgelegter Ablauf einen roten Faden bildet, an dem es persifliert immer wieder künstlerische und humoristische Perlen aufzureihen gilt.”[1] Der Name 'Schlaraffia' leitet sich vom mittelalterlichen Wort 'sluraff' ab, was so viel wie 'Faulenzer' bedeutet. Das Schlaraffenland im Märchen bezeichnete ein fingiertes Land lächerlicher Vollkommenheit, in dem den Menschen ohne jede Anstrengung alle materiellen Güter und Genüsse zuteil werden. Dort sollen Milch und Honig fließen, statt Steinen Käse herumliegen, die gebratenen Tauben direkt in den Mund fliegen und die Bratwürste auf den Zäunen wachsen. Die einzige Anstrengung, die man leisten müsse, um in das Schlaraffenland zu gelangen, ist, sich durch einen Berg Griesbrei hindurchzuessen. Faulheit sei dort höchste Tugend, der Fleiß das schlimmste Laster. Das Märchen hat seine Analogien in fast allen Nationen und ist wohl eher als Parodie auf die Vorstellung von den paradisischen Zuständen der Urzeit aufzufassen.[2] Bereits die Alten Griechen hatten ähnliche Vorstellungen, seit dem Mittelalter wurden sie in den romanischen Ländern in vielen Fassungen in Versform erzählt. Von Frankreich aus scheint sich das Märchen im 16. Jahrhundert in Deutschland eingebürgert zu haben.
'Schlaraffia' hat mit dem Märchen direkt jedoch nichts zu tun. Hierbei handelt es sich um eine Gemeinschaft von Männern, “die in gleichgesinntem Streben die Pflege der Kunst und des Humors unter gewissenhafter Beobachtung eines gebotenen Zeremonials bezweckt, und deren Hauptgrundsatz die Hochhaltung der Freundschaft ist”, wie es in den Statuten (§ 1 des 'Schlaraffen-Spiegels') heißt. Im Winterhalbjahr treffen sich die Schlaraffen einmal pro Woche, um gemeinsam Freude zu haben und ihren Geist zu schärfen. Obwohl sie Ritternamen führen, sind sie kein Ritterorden und gewiss kein esoterischer Mysterienbund. Hier treffen sich vielmehr vielseitig interessierte Mitglieder, um das Rollenspiel einer liebenswerten Ritterzeit zu spielen, Vorträgen und Vorführungen zuzusehen und so die Probleme des Alltags zu relativieren.
Der Wahlspruch der Vereinigung lautet 'In arte voluptas' (etwa: in der Kunst liegt Vergnügen). Mitglied können Männer aller gesellschaftlichen Schichten, Religionen oder ethnischer Herkunft werden ohne Ansehen von Person und Stellung. Die Schlaraffia verfolgt keine altruistischen Ziele wie etwa der Lions-Club oder Rotary International. Eine Verbindung zur Freimaurerei besteht nicht, und auch von Karnevalsvereinen und Faschingsclubs grenzen sich die Schlaraffen deutlich ab. Sie strebt im Allgemeinen nicht an die Öffentlichkeit und betreibt keine offene Mitgliederwerbung. Im Rahmen des schlaraffischen Ritterspiels kann jedes Mitglied die Anwesenden durch musikalische, dichterische, erzählerische, rezitatorische oder andere passende Beiträge erfreuen und unterhalten. Themen aus Parteipolitik und Religion, geschäftliche Belange oder schlüpfrige Männerwitze sind vollkommen unerwünscht. Ursprünglich waren nur Künstler Mitglieder, dies hat sich jedoch geändert. Heute bilden die Mitglieder der Schlaraffia einen Querschnitt durch alle bürgerlichen und künstlerischen Berufe. Da Geschäfts- und Berufswelt während der Sitzungen tabu sind, wissen die Meisten oft gar nicht, welchen Beruf der andere hat.[3]
Schlaraffisches Symbol für Weisheit, Humor und Tugend ist der Uhu. Dieser ist in der schlaraffischen Welt allgegenwärtig und taucht auch auf den Medaillen und Abzeichen immer wieder auf. Allgemein wird angenommen, dass dies als Sinnbild der Weisheit oder der Eulenspiegelei gedeutet werden müsse. Doch es war der reine Zufall - ein sehr lustiger Zufall obendrein -, der zu diesem Sinnbild führte. Ursprünglich war es ein in der fröhlichen Runde kreisender Trinkhumpen, der diesen Namen erhalten hatte (siehe Abbildung S. 5). Erst später wurde der Name des Humpens mit dem Vogel der Minerva in Beziehung gesetzt, und erst nachträglich wurde dann der Uhu in das Zentrum der schlaraffischen Bräuche und Anschauungen gerückt

Entstehung
Possenreißen und Narreteien wurden zu allen Zeiten und in allen Nationen der Welt getrieben, und seit dem Altertum hat es auch Vereinigungen gegeben, die dieses Possenreißen strukturiert, reglementiert und damit verstetigt haben. Diese traten natürlicherweise am häufigsten zur Karnevalszeit auf, aber durchaus nicht zwangsläufig und immer. Im Laufe der Geschichte sind zum Beispiel eine Narrengesellschaft im antiken Athen, Sodalitäten bei den alten Römern, die Geckengesellschaft in Kleve (14. Jh.), die 'Narrenmutter' zu Dijon (15. Jh.), die 'Gesellschaft der Hörnerträger' in Evreux und Rouen (15./16. Jh.), das 'Königreich Bazoche' in Frankreich (16. Jh.), die 'Babinische Republik' in Polen (16. Jh.), das 'Regiment der Calotte' in Frankreich (Anfang 18. Jh.) und der 'Mops-Orden' in Köln (Mitte 18. Jh.), schließlich die 'Ludlamshöhle' in Wien (Anfang 19. Jh.), die 'Grüne Insel' in Wien (Mitte 19. Jh.) und das 'Festordnende Comité' in Köln (gegr. 1823) bekannt geworden.[4] Dabei ist zu beachten, dass “man sich sehr täuschen würde, wenn man aus ihrem Namen schließen wollte, daß sie selbst Narren vorstellen, oder eine Gesellschaft eigentlicher Narren aufzurichten beabsichtigt hätten; sondern daß ihre Urheber und Stifter kluge und witzige Köpfe waren, welche mittelst der Satire die Narrheit in der Welt mindern, die Menschen gescheiter zu machen gedachten.”[5]
In dieser Tradition steht auch die Schlaraffia. Gegründet wurde sie im Jahre 1859 in Prag. Die Stadt war damals noch vollständig geprägt vom Deutschtum. Die Amtssprache war deutsch, die Straßen trugen nur deutsche Namen, auch die meisten Theater waren deutschsprachig. Die starke österreichische Garnison des Militärs und der Adel gaben den Ton an. Künstlern hingegen wurde die gesellschaftliche Anerkennung versagt. Sie organisierten sich stattdessen in eigenen Vereinen, um die Kunst zu pflegen. Aus diesen Künstlervereinen heraus hat sich die Schlaraffia entwickelt. Im Jahre 1918 hat ein 'Insider', der Ritter 'Zwilling' (Carl Ziegenhirt, Verlagsbuchhändler aus Leipzig, Herausgeber der Schlaraffia-Zeitschrift und der 'Allschlaraffischen Stammrolle'), die Gründungsgeschichte folgendermaßen erläutert: “Die Entstehung des Bundes und seines Sinnbildes ist einem Zufalle zu verdanken. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts stand das Deutsche Landestheater in Prag unter dem Direktor [Franz] Thomé in vollster Blüte, (...). Zu der Zeit bestand in Prag ein Verein von Künstlern und Kunstfreunden, der sich 'Arcadia' nannte, in dem aber neben hervorragenden Vertretern der Kunst und ihrer Verehrer leider auch das Protzentum zahlreich vertreten war. Als eines Tages, im Frühjahre 1859, das Mitglied Thomé einen der Seinen, welcher mit irdischen Gütern nicht überreich gesegnet war, zur Aufnahme meldete, kam es zu Erörterungen, in deren Verlauf das Wort Proletarier fiel.
Entrüstet ob solcher Beleidigung eines seiner Angehörigen meldete Thomé seinen Austritt aus der Arcadia an, welchem sich die Mitglieder des Theaters sofort anschlossen. Außer der Arcadia bestand zu derselben Zeit in Prag eine Gesellschaft von Künstlern und Kunstfreunden, die weder Namen noch Statuten besaß, sich aber allabendlich in zwangloser Weise an fröhlicher Tafelrunde in Freunds Gasthaus zusammenfand. Direktor Thomé und die Mehrzahl seiner Mitglieder gehörten diesem Kreise an. Der Vorgang in der Arcadia rief in dieser fröhlichen Tafelrunde große Entrüstung hervor, und unter Jubel wurde beschlossen, die namenlose Vereinigung von nun an 'Proletarierklub' zu nennen und sich dementsprechende Namen, ihrem Berufe oder ihrem Steckenpferd entnommen, beizulegen - z. B. Bassist [Albert] Eilers: Baßproletarier usw. In dieser Gesellschaft sprudelte es von Witz und Humor, und es ist nicht verwunderlich, wenn an den Abenden der Zusammenkunft reichlich für künstlerisch inspirierte Unterhaltung gesorgt ward, war doch die Mehrzahl der Angehörigen Mitglieder des Landestheaters oder seines Orchesters. (...) Die ein Instrument zu behandeln wußten, spielten auf, andere, denen Apollo die Macht des Gesanges verliehen, ließen sich vernehmen, und die vom rezitierenden Schauspiel gaben deklamatorische Vorträge zum besten. (...) In harmloser Neckerei wurden Spitznamen erfunden, die den Betreffenden für alle Zeiten geblieben sind, Ämter und Würden verliehen, die nur für den Augenblick von Bedeutung zu sein schienen und dennoch den Grund für spätere Zeiten legten.”
[6] Die spontane Namensgebung 'Proletarierklub' war allerdings in den damaligen Zeiten politisch hoch brisant. Die gescheiterte Revolution von 1848 lag gerade erst ein Jahrzehnt zurück, der Adel hielt das Heft in der Donaumonarchie wieder fest in der Hand. Dieser Name hätte beim Antrag zur amtlichen Genehmigung des Vereins mit Sicherheit politischen Ärger eingebracht.

  1. www.lulu311.de, die Internetseite der Schlaraffia Nr. 311 "Am Hohenwaldeck" (Schliersee i. Obb.), aufgerufen am 15.3.2016.
  2. Siehe Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Aufl., Bd. 17, S. 831-832.
  3. Vgl. Biedermann: Logen, Clubs und Bruderschaften, S. 338.
  4. Vgl. Flögel/Ebeling: Geschichte des Grotesk-Komischen, S. 351-396 und Zwilling: Schlaraffia, S. 65-66.
  5. Flögel/Ebeling: Geschichte des Grotesk-Komischen, S. 381.
  6. Zwilling: Schlaraffia, S. 11-12.