Kipper- und Wipperzeiten

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Kursächsischer Kippertaler zu 40 Groschen 1621 aus der Kipper-Münzstätte Taucha bei Leipzig

Krisen des deutschen Münzwesens, deren Höhepunkte zwischen 1620 und 1622 (große Kipperzeit) sowie 1670 und 1680 (kleine Kipperzeit) lagen. Bereits vor 1619 begann eine allgemeine Verschlechterung der Scheidemünzen. Obwohl mit den → Reichsmünzordnungen des 16. Jh. versucht worden war, das deutsche Münzwesen zu ordnen, gelang es nicht, das Wertverhältnis zwischen den silbernen Großmünzen und dem Kleingeld zu stabilisieren. Die Ursache lag im zu hohen Feingehalt der Kleinmünzen, die relativ höhere Herstellungskosten erforderten als das entsprechende Äquivalent in grober Münze, so daß der Gewinn ausblieb und damit auch das Prägen von Kleinmünzen. Außerdem wirkte sich die fallende Silberproduktion im Reich, verbunden mit einer durch den Handel bedingten steigenden Nachfrage nach Zahlungsmitteln negativ auf die Geldwirtschaft des ausgehenden 16. Jh. aus. Unter Umgehung der Reichsmünzordnung von 1559 begannen kleinere → Münzstände mit der Ausbringung unterwertiger Kleinmünzen durch Umschmelzen vollwertiger Taler und Guldiner. Der Wert des Kreuzers sank von 68 (1570) bis 90 (1611) für einen Taler. Die drohende Kriegsgefahr Anfang des 17. Jh. beschleunigte den Verfall der Geldwirtschaft mit ihrem steigenden Geldbedarf für Rüstung und Besoldung. Nach Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges 1618 beteiligten sich auch größere Staaten am Münzgeschäft. Durch Aufkäufer wurde das gute Geld auf der „Wippe“ (Waage) ausgesondert (gekippt) und durch umgeprägtes schlechtes Geld mit Überpreis bezahlt. 1619 stand der Reichstaler auf 108, 1620 auf 180 und im Herbst 1622 auf 1000 Kreuzer (zu 420 Groschen). Neben den Reichsmünzstätten prägten inzwischen zahllose → Heckenmünzen in Österreich, Bayern, Württemberg, Brandenburg, Braunschweig, Sachsen u. a. schlechtes Geld in riesigen Mengen. Die Kippermünzungen der Herrscher von Braunschweig, Sachsen und Österreich, die „Pachtgesellschaften“ des deutschen Kaisers Ferdinand II. (1619 –1637) erzielten Millionengewinne, an denen z. B. auch der Statthalter Fürst Liechtenstein und Oberst von Wallenstein Anteil hatten. In Braunschweig wurde in mehr als 32 Münzstätten ein Kippergewinn von 2 Mio. Taler erzielt. Die fränkischen Markgrafen ließen in zahlreichen Heckenmünzen ungeheure Mengen 24-Kreuzer-Stücke prägen. Unruhen und Revolten sowie ein völliger Boykott der offiziellen Märkte durch die Warenverkäufer verschärften besonders den Gegensatz zwischen Stadt und Land, der sich vielfach in spontanem Volkszorn entlud. Da ab 1622 über die Steuern und Abgaben nur noch schlechtes Geld in die Kassen der Landesherren zurückströmte, wuchs der Druck zur Rückkehr zu geordneten monetären Verhältnissen. Durch rigorose Verbote und Zerstörung der Heckenmünzen sowie die Herabsetzung des Talers auf 90 Kreuzer erreichten die größeren Länder eine zeitweilige Stabilisierung ihrer Währungen, jedoch zu Lasten der Bevölkerung, weil der Einlösepflicht der außer Kurs gesetzten Kippermünzen nicht nachgekommen wurde. Die Kippermünzen wurden beim Einzug nicht nach dem Nominal, sondern nur nach ihrem Silbergehalt bewertet → Münzverschlechterung